Fahrzeugentwicklung mit KI unterstützen: Das ist die grundsätzliche Idee der MVI PROPLANT Nord. Unser AI-Application Development Experte Igor Sokrut aus Wolfsburg hat dazu eine konkrete Software-Idee im Umfeld Simulation entwickelt. Um was genau es geht, erzählt er im Interview.
Igor, um was handelt es sich bei der Idee des Full Automated Simulation Service?
Die Ausgangsbasis zu der Idee war folgende: Bei den meisten OEM sind in der Fahrzeugentwicklung die Bereiche Konstruktion (CAD) und Simulation (CAE) getrennt. In der aktuellen Fahrzeugentwicklungs-Praxis übergibt ein Konstrukteur seine Ideen oder geänderten Fahrzeugmodelle (Konstruktionsdaten) an die Simulationsabteilung und wartet dann in der Regel ca. 6 Wochen, bis er die Ergebnisse zurückerhält. Er erfährt dann erst, ob seine Konstruktionsänderungen realisierbar und optimal für das jeweilige Bauteil sind oder nicht. Dies führt zu langen Durchlaufzeiten in der Entwicklung und begrenzt das Potenzial zur Optimierung von Bauteilen hinsichtlich nachhaltiger Ressourcenschonung.
Ziel war es diesen Prozess mit Hilfe einer automatisierten Lösung maßgeblich zu beschleunigen, was wir bereits mit ersten Kunden im Automotive Bereich umgesetzt haben. Wir haben hierzu ein Tool entwickelt, welches es dem Konstrukteur ermöglicht, seine Konstruktion von Karosserie Strukturbauteilen mit einer vollautomatisierten digitalen Simulation (nichtlineare FEM-Analysen) zu koppeln. Innerhalb weniger Tage kann so automatisiert eine Aussage über das mechanische Verhalten gewonnen und dabei die Lastenheftanforderungen vollumfänglich berücksichtigt werden. So können in Zukunft fahrzeugunabhängig Konstruktionsstände durch den Konstrukteur selbst zeitnah überprüft und entsprechende Maßnahmen frühzeitig ergriffen werden, was zur signifikanten Beschleunigung des gesamten Entwicklungsprozesses führen wird.
Die Idee war geboren, daraus eine umfängliche Software-Lösung zu entwickeln. Tatsächlich ist eine direkte Verknüpfung der beiden „Welten“ Konstruktion und Simulation, die sich durch eine baugruppenspezifische Automatisierung auszeichnet, bisher nicht auf dem Markt zu finden. Wir wollen mit unserer Lösung diese Lücke schließen.
Wie soll der Service am Ende konkret umgesetzt werden?
Das bereits entwickelte Tool wird aktuell zu einer umfänglich generischen Softwarelösung weiterentwickelt, welche sich nahtlos an individuelle Baugruppen-Anforderungen einzelner Auftraggeber adaptieren lässt. Die Applikationsentwicklung des generischen Software-Anteils hat bereits im Oktober 2022 begonnen. Ziel ist ein bruchstellen-freier Entwicklungsprozess, der einen durchgängigen Datenfluss zwischen Konstruktions- und Simulationsdaten herstellt und zunächst auf der Software CATIA V5 und Abaqus von Dassault Systèmes aufbaut. Das ist der erste Schritt zum Full Automated Simulation Service, der sich im ersten Schritt auf Blechstrukturen beschränken wird.
Im nächsten Schritt wird eine weitere Automatisierungsstufe mithilfe von KI in die Software implementiert. Dabei sollen KI-Agenten entwickelt werden, die auf dem Reinforcement Learning basieren. Dazu sind wir bereits jetzt mit den Berliner MVI-Kollegen des Lead Capability Center (KI & KE & SE) im Austausch, um gemeinsam an der Software für die KI-Lösung zu arbeiten. Derartige KI-Agenten erlernen heute selbstständig Spiele von Atari zu spielen oder den Weltmeister im kombinationsreichen Spiel Go zu schlagen. Unser Tool bietet eine ähnlich geschlossene Kette wie ein Videospiel. Wir sind in der Lage automatisiert Konstruktionsänderungen durchzuführen und durch die Simulation automatisiertes Feedback über diese Änderung zu erhalten. Das bietet uns die Möglichkeit dem KI-Agenten eine Umgebung zur Verfügung zu stellen, in der er selbstständig das „Spiel“ erlernt, eine optimale Baugruppenstruktur hinsichtlich Kosten, Gewicht, Mechanik, Fertigungszeiten usw. zu entwickeln.
Welches Potenzial steckt in der Idee dieses Full Automated Simulation Service für die MVI?
Jede Menge. Der Mehrwert für den Kunden ist groß: In der ersten Ausbaustufe erhält er eine erhebliche Zeitersparnis in seinem Fahrzeugentwicklungsprozess von 50-70 Prozent je nach Baugruppe. In der erweiterten Ausbaustufe schaffen wir eine KI-unterstützte Optimierung der Baugruppen und werden dabei immer noch deutlich unter den heutigen Entwicklungszeiten liegen. Das heißt, noch bessere Baugruppen in kürzerer Zeit.
Für uns als MVI steckt das Potenzial darin, dass es eine derartige Dienstleistung noch nicht gibt, so dass wir damit eine Nische in der Automotive-Branche besetzen können. Die Marktentwicklung und Kundengespräche zeigen, dass der Simulationsmarkt ein stetiges Wachstum aufweist. Die Hersteller in verschiedenen Industrien, wie zum Beispiel der Automobilindustrie oder der Bahn-, Aerospace- oder Windkraftbranche, streben danach, ihre Entwicklungs- und Produktionsprozesse mithilfe digitaler Simulationen zu beschleunigen und die Anzahl der benötigten Prototypen zu reduzieren.
Zusätzlich kommt noch der Aspekt verschiedener Materialien hinzu: Der Unterschied zwischen der Entwicklung von Blech- und Kunststoffbauteilen ist riesig und auch die Kosten für solche Prototypen-Bauteile sind oftmals hoch. Ein Simulations-Service, der individuell für beide Materialien Berechnungen und verschiedene Bauteilgruppen schnell analysieren kann, ist für den Kunden von großem Vorteil.
Mit dieser Softwarelösung strebt MVI PROPLANT Nord an, stärker in den Simulationsmarkt einzusteigen und Unternehmen in verschiedenen Branchen durch die Bereitstellung innovativer und präziser Simulationsmöglichkeiten zu unterstützen. Unsere disruptive Herangehensweise zielt darauf ab, bestehende Prozesse zu optimieren und neue Wege der Produktentwicklung zu ermöglichen.
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Igor Sokrut
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